**Volrad Kutschers Doppelausstellung in Wiesbaden wird verlängert.**
Auch das ist trauriges Künstlerschicksal in Zeiten von Corona. Da geht es Vollrad Kutscher nicht anders als Katharina Sieverding. Beide warten seit Dezember darauf, endlich ihre Ausstellungen eröffnen zu können. Dass die mehrfache Documenta-Teilnehmerin dies, wie in der ZEIT (05/2021) nachzulesen ist, erstaunlich gelassen nimmt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Retrospektive auf ihr fotografisches Werk in den Hamburger Deichtorhallen noch bis Ende Mai läuft und damit noch eine Chance auf nennenswertes Publikum hat. Dagegen hätte die Doppelausstellung „reSTART“, mit der man in Wiesbaden den 75. Geburtstag des Frankfurter Künstlers würdigt, ursprünglich am 14. Februar enden sollen. Die Hoffnung auf Verlängerung war anfangs klein, und die Gefahr, dass niemand sie hätte sehen können, deswegen groß. Aber jetzt gibt es Hoffnung. Im Museum ist die Schau nun noch bis zum 14. März zu sehen, und in der Kunsthalle wird sogar erst am 9. Mai wieder abgebaut. Ein Katalog, der dem Projekt eine von Laufzeiten unabhängige Dauer verleiht, ist inzwischen ebenfalls erschienen.
Mit der jüngsten Fassung seiner Video-Installation „ars mundi“ füllt Kutscher im Museum einen ganzen Saal: simultan auf alle Wände projizierte Bilder von Mündern, die aus dem Dunkel aufscheinen wie auf einem Caravaggio-Gemälde und wieder verschwinden, Naturstimmungen und symbolhafte Zeichnungen. Dazu ertönen durch bewegte Luft entstehende Geräusche, die die visuellen Wahrnehungen sinnhaft verklammern. In der Kunsthalle indes machen 144 Terrakotta-Masken Eindruck. Auf Sockeln präsentiert und in strenger Reihung bilden sie ein Feld, das den Ort beherrscht. So setzen sie das sich wandelnde Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt, zwischen Individuum und Masse, Starre und Bewegung ins Bild. Der Atem als das an beiden Ausstellungshäusern übergeordnete Thema hat zeitlose Bedeutung, erhält in einer Phase, da dieser lebensnotwendige Vorgang zu etwas Bedrohlichem wird, aber auch unerwartet aktuelle Brisanz.
Kutscher, der 1945 in Braunschweig geboren wurde, lebt in Frankfurt, ist aber vor allem im Wiesbadener öffentlichen Raum mit zahlreichen Werken dauerhaft präsent. Dazu zählen die an den Kunstsommer 2004 erinnernde Kürbis-Skulptur in der Innenstadt, die Kastanien-Allee am Schlachthof zur Erinnerung an die von dort deportierten Juden sowie der Plenarsaal des Hessischen Landtags. Im Museum schließlich ist er gewissermaßen zu Hause. Dort hat er schon mehrfach ausgestellt und ist mit seinen Werken in der Sammlung vertreten.
Vollrad Kutscher: reSTART
bis 14. März, Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
bis 9. Mai, Kunsthalle Wiesbaden, Schulberg 10, 65193 Wiesbaden
Solange Corona den analogen Besuch noch verhindert, mag ein filmischer Rundgang durch die beiden Ausstellungen trösten.
Über die Wiesbadener Doppelschau habe ich auch in der Rhein-Main-Zeitung der FAZ geschrieben.