Bedrohliche Leere

**Hinter einer Tür können sich Abgründe auftun. Zumal, wenn diese Tür zu einem Kunstwerk von Gregor Schneider gehört.**

Dann führt sie zum Beispiel in einen Interrogation Room. Dabei handelt es sich um eine bis auf den grauen PVC-Boden blütenweiße Zelle mit diagonalen Wänden. Je weiter man vordringt, desto enger wird sie. An der kurzen Seite hängt ein Einwegspiegel in Form eines Fensters. Wer diesen Ort betritt, sieht sich dem eigenen Abbild gegenüber. Es herrschen Leere, absolute Stille, gefühlte Keimfreiheit. Dass es so etwas wie draußen gibt, scheint jetzt kaum noch vorstellbar. Selbst nicht klaustrophobisch veranlagte Menschen werden unsicher: Werde ich beobachtet? Bin ich vielleicht sogar gefangen? Weiße Folter lautete der Titel einer Ausstellung mit Schneiders Werken, die 2007 in Düsseldorf lief. Damit gemeint ist eine Folter, die keine sichtbaren Spuren hinterlässt. Der Interrogation Room, der damals zu den Exponaten gehörte, verleiht diesem beklemmenden Begriff ebensolchen Ausdruck. 

Schneider ist bekannt dafür, dass er Räume konstruiert, deren Atmosphäre an Überwachung, Isolation, Folter oder andere Folgen von (staatlichem) Machtmissbrauch denken lässt. Der Interrogation Room wurde durch die raren öffentlich zugänglichen Bilder aus dem Gefangenenlager des US-Militärstützpunktes Guantanamo auf Kuba inspiriert. Derzeit ist er Teil einer überwältigenden Retrospektive auf das Werk des 1969 geborenen Künstlers. Die ehemalige amerikanische Botschaft Den Haag ist dafür die ideale Kulisse. Das vierstöckige Gebäude wurde 1959 nach den Plänen des auch für seine Stahlrohrmöbel bekannten Bauhaus-Meisters Marcel Breuer errichtet und steht unter Denkmalschutz. An- und übereinander gereihte Fenster in Form schlanker kopfstehender Trapeze gliedern die Fassade und machen den brutalistischen Betonklotz damit zu einer beinahe eleganten Erscheinung. Nach dem Auszug der Amerikaner 2018 entstand dort ein ambitionierter Kunstort mit dem vielfach assoziativen Namen West Den Haag.

Den Interrogation Room in seinem Haus zu wissen, hätte den Botschafter wohl in große Verlegenheit gebracht: Ein Werk, das die von der Öffentlichkeit abgeschirmte Menschenrechtsverletzung durch die USA zum Thema macht, wird ausgerechnet an der einstigen diplomatischen Repräsentanz des Staates öffentlich ausgestellt, der diese Tat verantwortet. Besser hätte man es sich nicht ausdenken können. Aber nicht allein deswegen war es eine geniale Idee der Kuratorin Marie-José Sondeijker, Schneider nach West Den Haag einzuladen.

Spätestens seit der Venedig-Biennale 2001 weiß man, dass Gregor Schneider Architektur erforscht und dies zu buchstäblich doppelbödigen Ergebnissen führt. Damals hat er Teile seines Elternhauses, aus dem Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt in die Serenissima verfrachtet und im deutschen Pavillon ein- und ineinander gebaut. Auch deshalb wirkt der Ort, an dem er jetzt ausstellt, wie von ihm selbst entworfen: Das Innere der einstigen US-Botschaft ist genauso tot wie die Toten Räume, die der Schau ihren Titel geben. Die früheren Dienstzimmer, die sich hinter schier endlos langen, von grauen Türen perforierten Bürofluren verbergen, unterscheiden sich kaum voneinander: vergilbte Tapeten, Neonbeleuchtung, unzeitgemäße Haustechnik. Ein White Cube ist etwas anderes. Gleichzeitig werden die bisweilen durch eine klapprige Tür oder ein Fenster miteinander verbundenen Räume zu Kabinetten, in denen jeweils ein Werk präsentiert wird.  

Dass Schneiders Kunst im Performativen wurzelt, verraten nicht nur frühe Fotos, auf denen man ihn in absurden Situationen sieht: zwischen zwei Baumkronen hängend oder wie er sich sein eigenes Grab schaufelt. Auch Architekturen setzt er sich körperlich aus. So hat er das Geburtshaus von Joseph Goebbels, das ebenfalls in Rheydt steht und das er gekauft hat, nicht nur bis auf die blanken Backsteine entkernt, sondern ist dort zuvor auch vorübergehend eingezogen. Auf andere Art verstören seine Skulpturen: Leblose, auf dem Boden liegende Körper eines Mannes und eines Kinderpaares stecken zur oberen Hälfte in Mülltüten. Auch zwei abermals blütenweiße, akkurat geformte, exakt einen Meter hohe, breite, tiefe Holzkuben „verkörpern“ Schneiders künstlerisches Anliegen. Denn wer sagt, dass darin nicht vielleicht ein Mensch eingesperrt ist, der gerade um sein Leben kämpft und dessen Schreie niemand hört? Die beiden Würfel sind dafür nicht nur eben groß genug, sondern, wenn man dem Künstler glaubt, auch „total isoliert“. So werden die geometrischen Körper, die an den Minimalismus der sechziger Jahre erinnern, zugleich zur Referenz auf Schneiders eigenen Minimalismus, der mit geringsten Mitteln maximale assoziative Kraft erzeugt und bewirkt, dass man sich zwei schmucklose Kisten als Kerker vorstellen kann.

„total isoliert“

Der Rundgang führt abwärts bis in die Katakomben im Keller, durch Eisentüren und dunkle Gänge unter anderem in einen vergitterten Lagerraum, in dem eine Bombe schwebt und einen Container, der zum Dark Room wird. Eine Schaltzentrale gehört nicht zur Ausstellung, erinnert aber mit Dauergepiepe daran, dass man sich in einem ehemaligen Hochsicherheitstrakt befindet und diese Umgebung Schneiders Sujet exakt spiegelt. Bis auf den Hof hat sich der Künstler ausgedehnt und dort eine Garage in eine Garage gebaut. Damit gibt er ein perfektes Beispiel für seine Strategie der Verdopplung, die Inneres und Äußeres ununterscheidbar macht: Dass man sich einer Doppelgarage gegenübersieht, fällt nur auf, wenn man es weiß. So endet die Ausstellung unter freiem Himmel. Dass ein schweres Rolltor den Weg nach draußen versperrt, ist nicht Schneiders Werk, müsste ihm aber gefallen.

Die Ausstellung Tote Räume ist vorerst noch bis zum 28. März zu sehen. Ideal wäre, sie würde gar nicht mehr abgebaut.