Distinguierter Ekel

**An der Riegelform der Schirn dürften Ausstellungsmacher schon so manches Mal verzweifelt sein. Für eine in mehrfachem Wortsinn Great Exhibition von Gilbert & George sind die schier endlosen Wände der Frankfurter Kunsthalle aber genau das Richtige. **

Sie erlauben die lückenlose und trotzdem luftige Rückschau auf das gemeinsame Werk des britischen Künstlerpaares, dessen monumentale Tafelbilder einen herkömmlichen White Cube zur Zelle schrumpfen lassen.

Beider Leben und Arbeit sind miteinander verschmolzen, seit sie sich 1967 in der Bildhauereiklasse der Londoner St. Martins School of Art zum ersten Mal begegnet sind. Selbstinszenierung war von Beginn an ihr Konzept. Obwohl sie sich bisweilen sogar nackig machen, gehört dazu in erster Linie der distinguierte Auftritt in maßgeschneiderten Anzügen.  Schon als „Living Sculptures“, die sich auf Tische stellten, sangen oder sich mit Gordon’s Gin langsam, aber stilvoll zulaufen ließen, zelebrierten sie den Widerspruch zwischen ihrem konventionellen Erscheinungsbild und ihrem – diplomatisch ausgedrückt – unkonventionellen Botschaften. Mit den riesigen, aus schwarz gerahmten Einzelteilen zusammengesetzten Fotomontagen, für die sie heute bekannter sind, hat sich daran nichts geändert. Dort erscheinen die Herren in einer Umgebung aus leuchtenden Farben und ornamental arrangierten Symbolen. Unter der dergestalt ästhetisierten Oberfläche bringen sie freilich nichts anderes zum Ausdruck als Ekel vor Homophobie, Rassismus oder Krieg. In Comic-Manier gezeichnete Motive mit Titeln wie Shit Faith, Piss Garden oder Sperm Eaters lassen keinen Zweifel daran, dass sich ihr Kampf nicht zuletzt gegen Sex- und Körperfeindlichkeit richtet. In diese Themenreihe hätte auch die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter gepasst. Aber geschenkt.

Wen Gilbert & George für all die Gewalt, Unterdrückung und anderen gesellschaftlichen und politischen Auswüchse verantwortlich machen, kann das von christlicher Symbolik volle Formenvokabular kaum verhehlen. Angefangen damit, dass die gitterförmige Struktur der riesigen Formate an die Bleiverglasung mittelalterlicher Kirchenfenster denken lässt und dies durch geradezu transzendentale Farbigkeit noch verstärkt wird. Triptychen und zur Kreuzform arrangierte Bildelemente sprechen die gleiche Sprache. Inzwischen halten die Künstler freilich nicht mehr nur dem Christentum faulen religiösen Zauber vor. Ein Ensemble aus Zeichen anderer Glaubensrichtungen, Hufeisen und vierblättrigem Klee spricht für sich.

Ein Jahrtausend älter als die Kunst von Gilbert & George sind die Exponate der Ausstellung Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht im Landesmuseum Mainz. Trotzdem ist der inhaltliche Kontrast nicht so groß, wie man im ersten Moment vielleicht denkt. Der anschaulicher als jede Geschichtsstunde inszenierte Rundgang illustriert die zu oft blutigen Machtkämpfe zwischen Krone und Kirche von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa. Man mag den aufgeklärten Kopf schütteln über die einst so enge Verzahnung von kirchlicher und weltlicher Macht und die Verderben, in die dies geführt hat. Aber ist die Trennung heute wirklich vollzogen? Angesichts der Bilder von Gilbert & George muss man sich das bange fragen.

Fotografieren verboten: Darauf, dass sich in Mainz auch alle daran halten, passt Aufsichtspersonal strengstens auf.

Gilbert & George: The Great Exhibition, Kunsthalle Schirn, Frankfurt, bis 16. Mai 2021
Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht, Landesmuseum Mainz, bis 13. Juni 2021